Flarmwarnung – aber wo ist der Gegner? Und wie weiche ich aus?
Was waren das für ruhige Zeiten. Noch vor wenigen Jahren wußte niemand außer den Entwicklern was ein FLARM sein soll. Man kurbelte in der Thermik in seinem Hausbart, zusammen mit zwei anderen; man schaute raus und das sollte doch eigentlich reichen. Oder? Und manchmal (aber nur manchmal), wenn man unter einer Wolkenstraße entlang jagte, machte es plötzlich links (oder rechts) „wussssch“ wenn ein anderes Flugzeug auf Gegenkurs gerade so eben an einem vorbei glitt. Man erschrak und wunderte sich, daß man den nicht vorher sah, hatte eine Weile weiche Knie, aber eine halbe Stunde später hatte man die ganze Sache wieder vergessen.
Doch in jeder Saison gab es Tote auf Grund von Kollisionen. Den Analytikern dämmerte, daß es ohne Kollisionswarnsystem kaum eine Chance gab, solch einen Zusammenstoß zu vermeiden – die Kollisionsgeschwindigkeit von oft mehr als 350 km/h ließ kaum eine realistische Vorwarnzeit.
Und so entstand das FLARM. Low-Cost, einfach zu installieren und doch recht effizient. Oft zeigt es einen Kontakt an, lange bevor man ihn selber entdeckt. Manchmal aber gibt jedoch einen lauten Kollisionsalarm, ohne daß man seinen „Gegner“ sehen würde…
Bei einem Standard-FLARM sind zwei Blicke nötig um im Falle eines Alarms die Richtung der Bedrohung auszumachen: zunächst muß man die Richtung des Kontakts feststellen und dann die relative Höhe. Dabei vergehen wertvolle Sekunden…
Das FLARM schlägt an, zeigt: vor mir, keine Höhendifferenz. Ich habe immer noch keine visuelle Identifikation des Gegenverkehrs. Aber ich ertappe mich bereits bei einem Ausweichmanöver: ich schiebe den Knüppel nach rechts unten. Dabei habe ich nach wie vor keine Ahnung wo mein Kontakt genau ist, die Standard-FLARM-Anzeige ist nicht so genau.
Sollte das Flugzeug leicht rechts von mir sein, auf „1 Uhr“ und etwas tiefer, vielleicht drei Meter, so provoziere ich genau die Kollision, die ich zu vermeiden trachte.
Aber was ist nun die beste Taktik, wenn ich den potentiellen Kollisionsgegner nicht sehe? Machen wir uns das Geschehen anhand einer Grafik deutlich:
Die Rechtskurve, die wir intuitiv einleiten um der vermeintlichen Gefahr auszuweichen, vergrößert unsere Treffersilhouette um ein Vielfaches, selbst wenn der „Gegner“ seinen Kurs beibehält. Wählt er das selbe Ausweichmanöver, vergrößert sich die Trefferwahrscheinlichkeit nochmals. Die nächste Grafik zeigt, daß die beste Taktik darin besteht, die Flächen horizontal zu halten und ansonsten die Ruhe zu bewahren. Wie gesagt: diese Erkenntnis gilt, wenn ich keine visuelle Identifikation des entgegenkommenden Flugzeugs habe.
In der Großluftfahrt werden deshalb die meisten potentiellen Konfliktsituationen nicht mehr horizontal, sondern vertikal entschärft. Wir Segelflieger können dies durchaus auch tun, zumindest wenn wir den selben Kurs fliegen: der hintere Pilot kann durch durch Setzen der Bremsklappen die Separierung herstellen. Solange wir aber nicht über Kollisionswarnsysteme mit besserer Vorwarnzeit und besserer Informationsqualität verfügen besteht bei einem Alarm die beste Flugtaktik darin NICHTS zu tun: „keep level flight and sit it through“.
In wenigen Sekunden werdet Ihr Genaueres wissen.
Seitdem Hans mir diesen Zusammenhang erklärt hat, übe ich das Verfahren in Gedanken. trotzdem ertappe ich mich dabei, bei einem FLARM-Alarm eine Rechtskurve einzuleiten, bevor ich einen visuellen Kontakt habe. Es ist doch schwer gegen eingeübte Verfahren anzulernen.
(erschienen in Segelfliegen-Magazin 2010)
Update Mai 2012:
Wahrend der superschnellen Föhnflüge Ende April konnten wir dieses theoretische Verfahren ausgiebig in realiter testen. Wir hatten mindestens zwei Situationen bei denen eine Ausweichbewegung nach rechts, bevor man den Kollisionsgegner identifiziert hat, zu genau dem Unfall geführt hätte, den man damit vermeiden wollte.
Beide Male als der FLARM-Alarm höchste Gefahr signalisierte saß ich wie auf Kohlen, umkrampfte den Knüppel mit beiden Händen um ja keine unbeabsichtigte Kurve einzuleiten, und suchte den Luftraum vor mir nach dem Gegner ab. Dabei murmelte ich das Mantra “Hoffentlich hat Hans recht, hoffentlich hat Hans recht…”