Energie-Fehleinschätzung beim Wettbewerbs-Zielanflug

Zuerst zur Erklärung:

Die “Ziellinie” bei einer Wettbewerbsaufgabe ist meistens ein Kreis mit Radius 3 km um die Flugplatzmitte. Es gilt, oberhalb einer vorgegebenen Mindesthöhe in diesen Kreis einzufliegen. Ab diesem Moment ist die sportliche Aufgabe abgeschlossen und der Pilot kann sich komplett auf den Landeanflug und den Verkehr konzentrieren, ohne dabei noch auf Wertung und Konkurrenz achten zu müssen.

Bei manchen Wettbewerben beträgt die Zielkreis-Mindesthöhe 150 oder 200 Meter, so dass nach erfolgreichem Zielüberflug noch sehr viel Energie für die Landung übrig ist. Manchmal (so wie in diesem Fall) sind es allerdings nur scharf kalkulierte 50 Meter Höhe. Der Gedanke dahinter ist, dass die Piloten aus Wertungsgründen ja sowieso meist mit sehr hoher Geschwindigkeit ins Ziel fliegen, nach dem Zielüberflug dann die Fahrt in Höhe umsetzen und mit normaler Fahrt in den Landeanflug übergehen. Wenn es nicht reicht, ist übrigens auch eine Außenlandung im Zielkreis ohne Punkt-Strafe möglich.

Nun zum Vorfall:

An diesem Tag führt die Flugaufgabe mit starkem Rückenwind (40 km/h) zum Ziel, so dass nach dem Zielkreisüberflug noch eine Landekurve geflogen werden muss. Mit der Energie, die nach einem schnellen Überflug über den Zielkreis zur Verfügung steht, ist dies rechnerisch überhaupt kein Problem. Ich entscheide mich, den Zielkreis optimal (also möglichst tief und schnell) zu überfliegen, und gehe daher recht nah an den Boden heran.

Nach Überflug des Zielkreises reduziere ich langsam die Fahrt. Oh Schreck: Ich gewinne gerade mal ca. 40 Meter Höhe! Den anschließenden Landeanflug muss ich unangenehm tief fliegen (Perspektive schlimmer als bei einer Seilrissübung) und die Kurve ist schon echt “sportlich”.

Was war passiert? Ich hatte mich durch den starken Rückenwind beim Zielüberflug und die hohe visuell wahrgenommene Ground Speed viel schneller gewähnt, als ich tatsächlich war! Ein Blick auf den Fahrtmesser (angezeigt waren wohl ca. 170 km/h) hätte den visuellen Eindruck (definitiv über 200 km/h) zunichte gemacht. Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, bin ich mir sicher, schon auf den Fahrtmesser geschaut zu haben, aber ich habe wohl die Information nicht richtig aufgenommen, weil ich von der hohen Rückenwind-Groundspeed (die Bäume fuhren sehr, sehr schnell an mir vorbei) schon so voreingenommen war: “ich bin ja sowieso schnell, da muss ich gar keine Werte ablesen”.

Dazu kam noch, dass das Flugzeug, mit dem ich flog, auch bei hohen Geschwindigkeiten nahezu kein Fahrtgeräusch entwickelt.

Fazit: Bei Rückenwind (aber eigentlich auch sonst immer) ist der Fahrtmesser die EINZIGE Entscheidungsgrundlage, was kinetische Energie angeht. Fahrtgeräusch, Ground Speed und visueller Eindruck liefern zu wenige (und potentiell falsche) Anhaltspunkte.

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Eine Antwort zu Energie-Fehleinschätzung beim Wettbewerbs-Zielanflug

  1. sgi sagt:

    Aber selbst der Fahrtmesser kann trügerisch sein, da beim Anflug mit Rückenwind beim Hochziehen der Rückenwind meist noch stärker wird, und dieses “beschleunigte” Bezugszugssystem Luft einem noch zusätzlich Energie kostet.

    Genau den gegenteiligen Effekt “Hochziehen in den stärkeren werdenden Gegenwind” und “Hinunterstechen in den schwächer werdenden Rückenwind” nutzt der Albatross für seinen Flug.

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